Sie suchen nach unbekannten Erben. Dabei recherchieren sie in Archiven, bei Standesämtern, in Kirchen und auf Friedhöfen. Ein Honorar gibt es erst, wenn der Erbe gefunden ist.

„Ihr reicher Ur-Onkel ist gestorben und hat Ihnen eine Erbschaft hinterlassen.“ Nicht immer muss es sich bei einer solchen Mail um eine Spam-Nachricht handeln. Der Absender kann ein Erbenermittler sein. Jan-Mathis Holstein arbeitet für die Gesellschaft für Erbenermittlung in Deutschland, kurz GEN:

„Erbenermittler suchen im Auftrag von Gerichten und von Nachlasspflegern unbekannte Erben. Das bedeutet: Jemand verstirbt und hinterlässt Geld oder eine Immobilie, aber die Erben sind unbekannt. Das passiert, wenn keine Kinder, keine nahen Verwandten vorhanden sind. Dann werden wir angefragt, ob wir helfen können, und wir suchen die weit entfernten Verwandten.“

Suche nach den unbekannten Erben

Der Nachlasspfleger hat die Aufgabe, erst einmal selbst zu suchen. Oft gehen die Fälle aber auch ins Ausland, denn die Personen, die heute in Deutschland versterben, können aus dem heutigen Polen oder häufig auch aus Tschechien kommen. Eben dann kommen professionelle Erbenermittler ins Spiel.

„Wir bekommen die meisten Fälle in Deutschland. Die Recherchen beginnen dort. Man hat oft eine Geburtsurkunde von der Person und sieht dann zum Beispiel, dass diese Person in Prag geboren wurde. Weil das häufig vorkommt, haben wir vor drei Jahren ein Tochterunternehmen in Tschechien gegründet, das ist GEN Česko.“

In Tschechien steckt die Erbenermittlung noch in den Kinderschuhen. Die Pflicht für die Ermittlung von Erben liegt bei den Notaren. Firmen für die Erbenermittlung gibt es hierzulande nicht. Immerhin führen nach Tschechien die drittmeisten Fälle mit Auslandsbezug aus Deutschland, und zwar hinter Polen und den USA. Es sind ungefähr zwanzig Fälle pro Jahr, weitere zehn kommen von dem GEN-Tochterunternehmen in den USA. In Prag begibt sich Petr Novotný auf die Suche:

„Ich bekomme die Angaben über den Erblasser, das heißt sein Geburtsdatum und seinen Geburtsort sowie seinen Namen und Vornamen. Dann setze ich mich mit dem zuständigen Standesamt in Verbindung, wo ich in das Geburtsbuch schaue. Ich suche dort nach Geschwistern, und wenn es diese nicht gibt, ermittle ich nach den Eltern und deren Eltern sowie nach den Geschwistern in diesen beiden Generationen. Die Suchen führen mich meist bis etwa ins Jahr 1890 zurück. Damals hatten die Familien in der Regel sieben bis acht Kinder, ich muss sowohl väterlicherseits als auch mütterlicherseits forschen und die Nachkommen ermitteln.“


Geburtsurkunde

Viele Fälle führen nach Tschechien

Die Suche führt also zunächst in die Vergangenheit und dann in mehreren Linien wieder zurück in die Gegenwart. Der Familienforscher verrät etwas über seine Taktik, um die heute lebenden Erben aufzuspüren:

„Es ist ein komplizierter Prozess, der auch von der Konfession der gesuchten Personen abhängt. Es gibt verschiedene Volkszählungen, Einwohnerregister, Gerichtsakten, Scheidungsakten, Melderegister und Urkunden über die Verleihung des Heimatrechtes. Also viele Archivalien. Und manchmal hilft auch der detektivische Spürsinn.“

Petr Novotný schildert einen solchen Fall:

„Der Erblasser ist in Wien gestorben, stammte aber aus dem Gebiet der heutigen Slowakei, bei Levoča (Leutschau, Anm. d. Red.). In der dortigen Region wurden die Personenstandsbücher auf Ungarisch geschrieben, was für mich ein Problem darstellt. Ich konnte die Eintragungen aber entziffern, weil das System der Personenstandsbücher ähnlich war wie bei uns. Und dort habe ich gefunden, dass dieser Erblasser acht Geschwister hatte.“


Illustrationsfoto: kropekk_pl, Pixabay / CC0

Dann aber sei die Spur verschwunden.

„Erst später habe ich die Todesurkunde der Mutter gefunden. Ich kann mich erinnern, dass sie Klara hieß. Daraus habe ich erfahren, dass der Vater, betrunken und eifersüchtig, die Mutter mit einem Rasiermesser ermordet hat. Der Vater wurde danach ins Gefängnis nach Budapest gesteckt und die Kinder an verschiedene Orte geschickt. Es war sehr schwer zu erforschen, was mit ihnen passiert ist. Einer der Nachkommen starb in einer Irrenanstalt, einer ist im Krieg gefallen, einige haben wir in Polen und einige in den Vereinigten Staaten ausfindig gemacht. Die Suche dauerte drei bis vier Jahre. Ich musste wohl so fünfmal in die Slowakei fahren.“

Für die Fahndung nach den Erben gibt es keine feste Frist, sagt Holstein von der deutschen Gesellschaft für Erbenermittlung.


Petr Novotný und Jan-Mathis Holstein (Foto: Ondřej Tomšů)

„Wenn wir darlegen können, dass es ein sehr komplizierter Fall ist, der sehr lange Zeiträume für Recherchen erfordert, dann sind die Gerichte durchaus geduldig. Denn sie haben mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass wir die Fälle auch nach zehn oder fünfzehn Jahren teilweise noch erfolgreich lösen. Ich hab durchaus schon Fälle auf dem Tisch gehabt, die auch nach 30 Jahren dann plötzlich eine Lösung gefunden haben. Das liegt unter anderem daran, dass in den Archiven immer mehr digitalisiert wird. Im Schnitt, so würde ich sagen, braucht man ungefähr vier Jahre von der Aufnahme der Recherchen bis zur Auszahlung an die Erben.“


Foto: Filip Jandourek, Archiv des Tschechischen Rundfunks

Überraschung ist groß

Wenn man dann alle Erben gefunden hat, geht es aber noch weiter. Die Ermittler müssen alle Urkunden beschaffen, alle Nachweise, weil erst dann die Erbschaft ausgezahlt werden kann. Übrigens zeigen sich die Erben in der Regel zunächst misstrauisch. Jan-Mathis Holstein:

„Es ist teilweise für uns problematisch, dass heute so viel Betrug betrieben wird, bei dem der Begriff Erbschaft auftaucht. Wenn wir die Leute anschreiben, ist die Überraschung meist so groß, dass uns im ersten Moment keiner glaubt. Wenn Herr Novotný vor der Türe steht und klingelt, kann das sein, dass die Tür gleich wieder zufällt, weil ihm nicht geglaubt wird.“

Der Erbenermittler muss erst einmal einen Brief schreiben und erklären, was er macht. Er muss Referenzen zeigen, etwa ein Amtsschreiben von einem Anwalt, der sagt, er kenne diese Firma. Nach und nach verstünden dann die Erben, dass da wirklich eine Erbschaft sei, sagt Holstein.

„Wenn man ihnen erzählt, ihre Eltern waren diese Personen, ihre Großeltern sind in diesem Dorf geboren, ihr Urgroßvater hatte einen Bruder, den Sie vielleicht noch kennen und weitere solche Informationen, dann verstehen die Erben, dass wir das nicht zum Spaß machen. Ihnen ist dann klar, dass wir uns nicht bereichern wollen, sondern dass da viel Arbeit dahinter steckt.“


Illustrationsfoto: Michal Jarmoluk, Pixabay / CC0

Die Erfolgsquote ist hoch, sagt Holstein. In 90 Prozent der Fälle gelinge es, die Erben zu finden:

„Es gibt leider immer mal wieder die Situation, dass man anfängt zu recherchieren, und dann ist der Nachlasswert nicht hoch genug, um unsere Recherchen zu finanzieren. Dann müssen wir an irgendeiner Stelle auch sagen, dass wir nicht weiter machen können. Aber wenn wir die Arbeit bezahlt bekommen, dann lösen wir die meisten Fälle.“

Das Honorar eines Erbenermittlers ist erfolgsabhängig. Erst der gefundene glückliche Erbe bezahlt die aufwendige Arbeit:

„Wir schließen mit den Erben, die wir finden, eine Erfolgshonorarvereinbarung. Die besagt im Grunde: Wenn der Erbe später das Geld bekommt, erhalten wir Erbenermittler einen Anteil davon. Wir forschen jahrelang, ohne dass wir Geld sehen, in der Hoffnung, dass dann am Ende ein Honorar dabei herausspringt. Das ist ein gewisses Risiko, aber dieses wird durch das Honorar ein bisschen abgesichert.“


Foto: Pixabay / CC0

Für die Erbenermittler handelt es sich bei den erforschten Familiengeschichten einfach um „Fälle“. Wenn sie in einen Fall eintauchen, sind sie manchmal aber auch emotional involviert:

„Die meisten haben Geschichte studiert. Sie lieben diese Forschung wirklich und stecken da tief drin. Das betrifft ja die Geschichte des 20. Jahrhunderts, und die Geschichte des 20. Jahrhunderts war in Europa sehr wechselvoll und hat auch sehr viele negative Seiten. Das sieht man bei den Fällen fast an jeder Ecke: Man hat Personen, die im Krieg gefallen sind, Personen, die im KZ gestorben sind, Familien, die durch die deutsche Teilung auseinandergerissen worden sind. Aber es gibt auch Geschichten, bei denen man wirklich Familien wieder zusammenführt: Wir haben zwei Brüder ermittelt, und die wussten nicht einmal etwas voneinander, weil sie in zwei verschiedenen Familien zur Adoption freigegeben wurden. Sie sind 60 Jahr alt und sind sich das erste Mal nach vielleicht 55 Jahren wieder begegnet. Und das beruht auch auf der Forschung, die wir gemacht haben. Das sind dann auch für uns emotionale Momente.“


Foto: Štěpánka Budková